Bernd's Marstagebuch - Teil ZWO ! (erster Teil)

25.7. - Nach der stürmischen ersten Woche haben sich nun Stimmung und Wetter positiv entspannt. Die ganze restliche Zeit Übernachtung im Habitat, auch gelegentlicher Regen lässt das Innere gänzlich trocken. Gegen Mitternacht schliessen wir das Tor zu unserer Strandseite; nur gelegentlich ziehen dann Jungs mit Rucksäcken vorbei, gefüllt mit Spraydosen, die an der Ostseite über den Zaun geklettert sind, um an der Mauer Kunstwerke zu hinterlassen. Anfangs hatte ich mal einen zurückgeschickt - in dem Mietvertrag mit dem Bundesvermögensamt stand ja etwas von "Denkmalschutz" und "Haftung" - und am nächsten Tag war die Plane des Habitat mit türkisenen Buchstaben verziert. Daraufhin grüsse ich nur noch freundlich und bitte höflich, nach getaner Arbeit doch das Tor wieder zu schliessen - das hilft, der Ort ist nun endgültig uncool geworden.

Die Straßenlampen von der Müllerstrasse strahlen durch die weiße Plane des Habitats und erzeugen darin ein seichtes, orangefarbenes Licht. Die überhängende Plane lässt unten Lüftungsschlitze entstehen, durch die Öffnung oben gibt es dann stete Luftbewegung. Einmal kühlt es so auf 10 grad ab, also mit Pullover in den Schlafsack - wie muss das erst in der Wüste sein, wo die Temperatur noch viel weiter sinkt? Morgens dann Wecken durch die Sonne, spätestens um halb 9 hat sich das Habitat so aufgeheizt, dass man aufsteht, um bei einer Mate aus dem Kühlschrank vom schattigen Ufer aus den Spreeschiffern zuzugucken; und danach Texte und andere Arbeiten am Laptop fortzusetzen - dank WLAN fühlt man sich nun auch hier richtig als Mensch...

Herr Schmidt von der c-Base bringt ein ganz ordentliches Zelt mit, um sein Projekt "23 Tage" dieses Jahr hier zu beginnen ( http://b-oss.in-berlin.de/23tage/ ). Das Zelt ist natürlich mit zeitgemässer Technologie gebaut, elastische Kohlefaserstangen etc., und lässt bei der Effizienz von Packmaß und Gewicht das Habitat recht steinzeitlich aussehen; dafür fühlt man sich darin wie in einer Höhle ... und nicht wie in einem Habitat eben.

Nachmittags kommt ein Uwe per Rad und bringt ein Regal mit Dach. Hmm, ein Haus? Oder auch eine Rakete? .. wir philosophieren - passt das ästhetisch zum Mars? Endlich einer, der das Projekt verstanden hat. Er nimmt dann doch das Teil wieder mit .. vielleicht zum Kolloquium wieder?

26.7. - Um 10 Uhr kommen ein paar chinesische Touristen, einer fragt höflich, auf deutsch, später englisch, welcher Teil der Mauer Ost und welcher West war. Dann lässt er sich noch das Habitat zeigen .. "Which company is it?" - "It is art." - "aaahh, ok." - "Where do you come from - red china?" - "rat? what you mean? We come from Peking." - "So not from Taiwan, I see." - "Ah, yes, red China, yes!". Abschliessend mache ich ein Foto von ihm und seiner Frau vor der Rakete, und seine Frau macht noch eins mit ihm und mir; Beschluss, ein Habitat-Tagebuch zu machen.

27.7. Abends feiert Nachbar Schmidt seine Geburtstagsparty am Strand - was vor allem wegen des üppigen, französisch inspirierten Buffets nachhaltig Eindruck hinterlässt.

28.7. - Kinderbande, fast wie in den Filmen aus Rio. - Von anfang an bewegte sich nachmittags eine Gruppe von 3 bis 6 Jungens auf dem Marsgelände, 12 bis 15 Jahre, eine Art Versteckspiel, verschwinden zwischen den Zelten. Dann kurzes Gespräch, der Wortführer ein schmächtiger Blonder mit leicht osteuropäischem Akzent .. "Wir wollen doch gar nichts klauen!" - Hat ja niemand behauptet.
Später wieder scheu, verstecken in den Büschen, da mischen sich wohl Neugier und Geschäft. Jetzt sind sie wieder da, ich grüße freundlich, obwohl, fehlten da gestern nicht zwei Bier im Kühlschrank? Andererseits, es blieben vier übrig, also .. mal ganz brav das Habitat gezeigt. "Und heute, was gibts da?" - "Filme." - "Ok, kommen wir." - Oder auch nicht.

Für abends sind Wortkünstler angekündigt, die brauchen Mikrofone und passende Mischer, also ziehe ich los und hole bei Wemme einen Riesenhaufen Mischpult und Kabel; auch eine komische Kultur, das. Dann kommen sie ganz dynamisch an, 2 Stunden vorher Generalprobe muss sein; den Schauplatz nochmal schnell unter das Schulz'sche Fallschirmzelt verlegt. Haben eine richtige Komposition gemacht, ernsthafte Arbeit, Hut ab. Das gesprochene Duett mit Gesang und Soundteppich ist dann auch beeindruckend, nur die Künstler sind nachher etwas enttäuscht - sollte es nicht ein "Festival" sein? Mit viel Werbung und hunderten Besuchern? Nein, sollte es nicht - "Bringt Eure Freunde mit und habt Spass, für alles andere übernehme ich keine Garantie" hatte ich immer wieder gepredigt. Half nix, der Mars hat einfach zu große Visionen losgetreten. Nun sind sie sauer, "Bezahl uns oder ich spreche mal mit der Gema". Hilfe, was nun? - Und jetzt hab ich auch noch den Namen der Leute vergessen...

29.7. Das 'Kolloquium' ist ja eigentlich weniger ein solches, keine Prüfung, sondern mehr ein Zusammentreffen - also neue Überschrift: SymPosium . Eckehard hatte die Fragen vorbereitet, ab 11 Uhr finden sich noch Daniela und Julian ein, dazwischen der ein oder andere Besucher.
Die erste Frage ist vielleicht ünerhaupt DIE Kernfrage: Wie kann man zum Mars fliegen, solange auf der Erde noch Leute hungern? Das geht mehrmals hin und her, der Hungerdiskurs wird nach zwei Stunden, dann aber sehr plötzlich, durch aufgetauchte Schokocreme abrupt gestoppt; und auch der letzte Rest Galgenhumor über diesen Vorgang selbst verschwindet jeweils hinter zufrieden schmatzenden Lippen. Mittags geht es weiter mit der "geistigen Dimension" einer Marsexpedition, was ja überhaupt jetzt und später für die weit überwiegende Zahl der Interessenten die einzige Dimension bleiben wird - denn mitfahren können realistisch dann maximal eine Handvoll Leute.
Es folgt eine live-Konferenz mit Hannes Griebel, technisch versierter Spezialist der Mars Society aus München - zu Fragen der Machbarkeit und der Perspektive. Warum nicht auch zur Venus? Zu anderen Sternen? - Nein, für bemannte Missionen ist realistisch wirklich nur - der Mars. (siehe das Forum zum Symposium )

Später der FilmAbend, die weltraumbegeisterte Karin kommt frisch aus dem Urlaub, stellt ein dokumentarisches Programm zusammen aus den Anfängen der bemannten (US-) Raumfahrt; dass die Russen da nicht mal eine ordentliche Dokumentation der Kosmonautik hinkriegen .. traurig ( http://www.roscosmos.ru ).
Ein Rest der Habitat-Plane wird vor dem rostigen Container als Leinwand verzurrt, ein von der c-base gemieteter Beamer samt Laptop mittels Leiter davor plaziert. Die Video-Software hat so ihre Tücken, aber dann gibt es doch einige romantische Stunden, mit aufsteigenden Gemini-Raketen vor der Kulisse rötlicher Wolkenfetzen hinter dem Alexanderturm - dessen Kugelform seinerzeit an sowjetische Sputniks erinnerte.

30.7. - Das SymPosium geht in gleichem Kreise weiter, ein ungarischer Maler, Sandur Basics kommt zu Besuch, er hat Marslandschaften zum Gegenstand seiner Gemälde gemacht; mögliche Zusammenarbeit bei künftigen Projekten.
Inhaltlich geht es um Leben auf dem Mars und die Bedeutung für die Erde; schliesslich um den Zusammenhang zwischen "Mars rocks" und einer realen Mission.

31.7. Schönstes Wetter, eigentlich zu früh für die Abschlussparty, aber das Kontrollzentrum kann natürlich keine Abweichung vom Zeitplan erlauben ...
Ingo bringt Grillzeug mit, instant-Grills sind jetzt voll im Trend, alles ganz leicht aus Alufolie und Brennstoff integriert. Aber ist das auch marsgerecht? Warum nicht, solange es genug Sauerstoff gibt...
Letzte Übernachtung im Habitat, vielleicht ist das überhaupt der Kern der Sache, keine Partys, keine Medien, einfach unter dem Himmel, fern der bösen Leistungsgesellschaft - "Steigen Sie aus, fliegen Sie zum Mars - Ruhe garantiert!".

1.8. und danach - Sonntag Abbau, wegen der Hitze wird die Arbeit auf den Abend verschoben. Die Entfernung der Plane sollte nun, nach dem dritten Durchlauf, zügig voran gehen - aber: Das sind noch die Nahtzugaben am Dach festgetackert und wollen nun einzeln herausgebröselt werden - es bleibt noch Optimierungsbedarf für die nächste Habitatsaison. Nach der Zerlegung des Gerüsts ist es schon dunkel.
Montag dann Transport der Teile, auf Basis guter Beziehungen zum base-Keller, ex-Rotarmist und Bodybuilder Vladimir hilft beim laden. Die Rakete bleibt vorerst stehen - einem wechselvollen Schicksal entgegen - siehe RockSette.

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MarsRocks